Köln auf dem Weg in die Klimakrise?!
Was im Verkehr geschehen muss, um das zu verhindern.
Für die Menschen sind die Dimensionen der Klimakrise nur schwer zu fassen. Daher ist es gut, wenn man die zu erreichenden Ziele auf ein verständliches Maß herunterbrechen kann. Die Stadt Köln hat das Wuppertal-Institut mit der Entwicklung eines Maßnahmenprogramms beauftragt, um zu verdeutlichen was die Stadt tun muss, um ihre Klimaziele, die Einsparung von 3,9 Mio Tonnen CO2-Emissionen im Jahr, zu erreichen.
Beispielrechnung für den Verkehrssektor
In einer Beispielrechnung werden für den Bereich Verkehr folgende Annahmen getroffen:
- Der Anteil des Fahrrads am Verkehrsaufkommen (Modal Split) muss von derzeit 20 auf 40 Prozent zu Lasten des Autoverkehrs steigen. Das entspricht einer Verdoppelung. Die durchschnittliche Wegelänge mit dem Fahrrad muss dabei deutlich größer werden.
- Der ÖPNV muss von derzeit 21 auf 30 Prozent ebenfalls zu Lasten des Autoverkehrs steigen.
- Entsprechend muss der Anteil des PKW am Modal Split von derzeit 34 auf nur noch 10 Prozent gesenkt werden. Dass der verbliebene Autoverkehr zu 75 Prozent aus Elektromobilität bestehen und der Strom aus regenerativen Quellen kommen muss, versteht sich dabei von selbst.
- Darüber muss auch der LKW-Verkehr mindestens zur Hälfte emissionsfrei sein und auch der Flughafen seinen Betrieb deutlich reduzieren.
Notwendiges Vorgehen zur Zielerreichung im Bereich Radverkehr
Wenn wir mehr Menschen aus dem Auto locken wollen, müssen wir sowohl den ÖPNV als auch den Radverkehr in kürzester Zeit deutlich attraktiver gestalten. Die Infrastruktur für den Radverkehr muss daher Zielgruppen zum Radfahren motivieren, die heute noch nicht oder nur wenig Rad fahren.
Nach der in den USA durchgeführten Studie „Four Type of Cyclists“, deren Grundaussagen auch bei wahrscheinlich etwas anderen Zahlenwerten auf Deutschland anwendbar ist, gibt es vier Nutzertypen im Radverkehr. Neben einigen wenigen Furchtlosen, die immer Rad fahren, egal wie die Infrastruktur ist, gibt es die sogenannten Gewohnheitsfahrer, die keine besonders hohen Anforderungen haben. Ebenso wird es selbstverständlich immer Menschen geben, die niemals aufs Fahrrad umsteigen werden, in der Studie ist dies etwa ein Drittel. Die wichtigste Zielgruppe auf dem Weg zur Fahrradstadt sind daher die Interessierten, die mit 60% die große Mehrheit in der Studie stellen.
Ist Köln beim Radverkehr auf dem richtigen Weg?
Durch die Investitionen in die Kölner Infrastruktur der letzten Jahre erreichen wir heute schon Teile der Interessierten. Für den Radverkehr sind aber viel massivere Maßnahmen in der Verkehrsinfrastruktur notwendig, um diesen Effekt in allen Bezirken zu erreichen und auch die heutigen Nicht-Radfahrenden unter den Interessierten zu überzeugen.
Bewohner der Kölner Innenstadt sehen mittlerweile den Mobilitätswandel in unserer Stadt. Immer mehr Straßen bekommen breite Radfahrstreifen, an einigen Stellen gibt es erste Ansätze einer baulichen Separation durch kleine weiße Trennelemente und selbst einige Parkplätze werden entfernt. Für die anderen Stadtbezirke wurden Radverkehrskonzepte erstellt oder für das laufende Jahr versprochen.
Aber ist Köln damit auf klarem Kurs, um die Klimaziele im Bereich Verkehr zu erreichen? Reichen die laufenden Maßnahmen, um die oben dargestellten Ziele zu erreichen? Die Antwort auf diese Frage ist leider ein klares Nein.
Die Qualität und die Geschwindigkeit, in der wir die Infrastruktur für den Radverkehr ausbauen, sind nach wie vor nicht ausreichend. Um die Menschen aufs Rad zu bringen, die heute noch nicht oder nicht besonders viel Rad fahren, ist eine ganz andere Vorgehensweise notwendig. Mit breiten Radfahrstreifen, einige mittlerweile mit Trennelementen, oder dem Abbau einzelner freilaufender Rechtsabbieger hat Köln sein Vorgehen schon deutlich verbessert. Aber eigentlich müssten wir bereits jetzt über ein vollständiges Radschnellwegenetz verfügen, breite Radfahrstreifen an allen Hauptverkehrsstraßen haben, den Parkraum mit großer Entschlossenheit zurückdrängen und in den Veedeln den Durchgangsverkehr vollständig entfernen.
Dagegen werden Kreuzungen nach wie vor zunächst für den Autoverkehr geplant. Jede Ampel wird für den Kfz-Durchfluss optimiert und der Radverkehr auf unangenehmen Radfahrstreifen in Mittellage geführt. Das ist wenig attraktiv für die Menschen, die erst jetzt aufs Fahrrad umsteigen wollen.
Zusätzlich wird von Politik und Verwaltung an den beschlossenen Radverkehrsnetzen gesägt. So werden auf Hauptverkehrsstrecken des Radverkehrs Fußgängerzonen geplant, wie in der Ehrenstraße und der Deutzer Freiheit. So begrüßenswert autofreie Bereiche in der Stadt sind, ist die Durchmischung von Rad und Fuß auf den Hauptstrecken nicht hilfreich, wenn mehr Radverkehr das Ziel ist. Besser wäre es hier, dem Fußverkehr mehr Platz und mehr Aufenthaltsqualität zu bieten, in dem bestehende Parkplätze zu Gehwegen umgebaut werden.
Parallel geht es mit wichtigen Projekten, wie der Öffnung des Rheinufertunnels oder alternativ einem Hochradweg an gleicher Stelle nicht weiter. Im Rahmen der anstehenden Sanierung des Rheinufers wird hier der Radverkehr, wie am Waidmarkt oder im Deutzer Hafen auf unattraktive Umwege geschickt.
Ebenso haben wir nach wie vor nicht einen Meter des einzigen bislang konkret geplanten Radschnellwegs oder der Radpendlerrouten umgesetzt. Und auch die Optimierung der Rheinquerungen durch die Wandlung von Fahrspuren oder den Bau von Fahrradbrücken lässt weiter auf sich warten. Dabei sind diese durchgängigen Verbindungen entscheidend für die Verkehrswende in unserer Stadt.
Was muss Köln tun?
Köln muss seine Personalkapazitäten für den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur im Mobilitätsdezernat deutlich ausbauen. Wir brauchen insbesondere viel mehr Verkehrsplaner:innen und Ingenieur:innen in allen Bereichen und Bezirken. Und bei den bestehenden Menschen in den Ämtern muss Fahrradfreundichkeit und Verkehrssicherheit endlich an erster Stelle stehen. Das ist auch und gerade in der Verkehrsüberwachung absolut zwingend. Die stillschweigende Duldung zugeparkter Fuß- und Radwege, Zebraquerungen für zu Fußgehende, Stellen mit abgesenkten Bordsteinen usw. muss stadtweit aufhören.
Gleichzeitig braucht es ein Moratorium für jeglichen Neu- und Ausbau von Kfz-Infrastruktur in und um die Stadt. Es darf z.B. keine Planungen zusätzlicher Aufstell- oder Abbiegestreifen mehr geben. Weder die Rheinspange 553 noch die Verbreiterung der Autobahn auf der Rodenkirchener Brücke dürfen noch gebaut werden. Die dafür vorgesehenen Mittel müssen stattdessen vollständig in den Ausbau des ÖPNV auch in der Region und auf den tangentialen Verbindungen in der Stadt sowie die schnelle und massive Verbesserungen für den Radverkehr fließen. Nicht alles, was geschen muss liegt in den Händen der Stadt. So ist es ihr beispielsweise per Bundesgesetz verwehrt flächendeckendes Tempo 30 einzuführen. Das aber ist ein notwendiges Element, den Radverkehr attraktiver zu machen, damit sein Anteil am Modal Split auf das für das Klimaziel notwendige Maß wachsen kann. Es ist gut, dass sich die Stadt der Initiative „Lebenswerte Städte durch Tempo 30“ angeschlossen hat.
Unterstützung für die Stadt in dieser Frage wird auch aus der Initiative des ADFC-Bundesverbandes erwachsen, die Straßenverkehrsordnung und das Straßenverkehrsgesetz so zu gestalten, dass darin Verkehrssicherheit und Klimaschutz höchste Priorität eingeräumt werden. Dadurch wird der Verkehr nicht nur in Köln viel freundlicher für zu Fußgehende und Radfahrende. Eine politische Mehrheit für eine Regelgeschwindigkeit von 30km/h innerorts besteht auf Bundesebene derzeit nicht. Eine Mehrheit für Regelungen, die Kommunen mehr Freiheiten in ihren Entscheidungen zu Temporeduzierung und Ausgestaltung von Straßen geben, zeichnet sich jedoch ab. Sobald die Möglichkeiten dazu bestehen, wird die Stadt diese auch nutzen müssen.
Update zum Jahreswechsel 2022/23: Mittlerweile hat die Stadt Köln den Aktionsplan "Strategie Klimaneutrales Köln" veröffentlicht. Auf knapp 465 Seiten in drei Bänden werden unter anderem Handlungsempfehlungen für die Gesamtstadt und die Stadtverwaltung gegeben. Die Inhalte wurden im Kölner Klimarat erarbeitet. Allein für die Förderung des Radverkehrs sind dort 27 zusätzliche Vollzeitstellen und ein Budget von 35 Mio. Euro pro Jahr eingeplant. Insgesamt sollen im Bereich Mobilität 200 neue Stellen geschaffen werden. Nach Ratsbeschluss vom 08.12.2022 soll die Verwaltung im ersten Halbjahr 2023 dem Rat einen konkreten Maßnahmenkatalog vorlegen.
Update zum Jahreswechsel 2023/24: Obwohl die Klimaneutralität bereits 2035 erreicht werden soll, wurde noch keine einzige Stelle in den städtischen Haushalt aufgenommen, geschweige denn ausgeschrieben. Nach Erstellung der Dokumente und Zustimmung im Rat, scheinen Politik und Verwaltung das Thema vergessen zu haben. Der für das ersten Halbjahr 2023 geplante Maßnahmenkatalog wurde bis Jahresende 2023 nicht veröffentlicht. Wenn wir als städtische Gemeinschaft mit diesem Tempo weitermachen, rückt die Zielerreichung in weite Ferne.
Das Logo der städtischen Aktionsseite zum Thema ist immerhin bemerkenswert ehrlich: Es trägt den Schriftzug "0 Future 2023", also sinngemäß "Keine Zukunft 2035".
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Autor: Christoph Schmidt