Keine Verkehrswende in Köln-Nippes
Stellungnahme zu den neuen Pläne zur Umgestaltung der Neusser Straße in Köln-Nippes
Rückblick 2010 bis 2017
Im September 2010 beauftragte die Bezirksvertretung die Verwaltung, die Planungen für die Umgestaltung der Neusser Straße zwischen Innerer Kanalstraße und Niehler Kirchweg voranzutreiben. Ziel war, den Charakter als „zentrale Einkaufsstraße“ zu stärken und dem „extrem hohem Überquerungsbedarf“ der Fußgänger entgegenzukommen. Es gab damals einen Vorentwurf mit einem verbreitertem Seitenraum für Fußgänger, Abbau der Ampeln, und drei Kreisverkehren.
Es dauerte dann gut sechs Jahre, bis die Verwaltung neue Pläne in einer öffentlichen Veranstaltung im Bezirksrathaus am 18.5.2017 vorstellte. Von den ursprünglich drei Kreisverkehren blieb nur noch der am Abzweig zur Kempener Straße bestehen. Für den Radverkehr war vorgesehen, die vorhandenen Schutzstreifen auf 1,50 Meter zu verbreitern. Es sollte weiterhin auf beiden Seiten Autoparkplätze geben, und der Kraftfahrzeugverkehr sollte weiterhin in beide Fahrtrichtungen fließen – nunmehr bei Tempo 30 statt 50.
Noch während der Planungsphase hatte der ADFC per Bürgereingabe gefordert, den Rad- und Fußverkehr auf der Neusser Straße noch deutlicher zu stärken und zu schützen. Der dafür notwendige Platz sollte dadurch gewonnen werden, dass der Kraftfahrzeugverkehr auf eine Spur reduziert wird. Die Verwaltung lehnte unsere Kernforderungen ab, und die Politik folgte der Meinung der Verwaltung. Beide sahen sich bei der Informationsveranstaltung 2017 aber mit Kritik an der Radverkehrsführung und gleichlautenden Forderungen der Bürgerinnen und Bürger konfrontiert. Auch der ADFC kritisierte die Kombination von schmalen Schutzstreifen neben zu schmalen Autoparkplätzen. Als Mindestbreite forderten wir zwei Meter.
Der neue Plan, Teil 1
Nach der Bürgerinformationsinveranstaltung entstand im Laufe der Jahre 2017 und 2018 ein neuer Plan, bei dem die Verwaltung die Schutzstreifen auf 1,75m verbreiterte. Gleichzeitig empfahl sie jedoch, sie bei der ursprünglichen Breite von 1,50m zu belassen, weil die verbleibende Fahrbahn für den Begegnungsverkehr insbesondere von LKW zu schmal sei und ein breiter Schutzstreifen somit von Kraftfahrzeugen „mitbenutzt“ werden müsse. Ein Gespräch darüber fand unter anderem am Runden Tisch Radverkehr Nippes unter Beteiligung des ADFC statt, mit folgendem Ergebnis: „Die Verwaltung regt an, den Querschnitt in 1,50 m breite Schutzstreifen mit einer 5,00 m breiten Fahrbahn anzupassen. (…) Diese Überlegung wird von den anwesenden Verbänden und Politikern einstimmig abgelehnt.“ (Auszug aus dem Protokoll des Runden Tisches vom 27.11.2018).
Anfang 2019 legte die Verwaltung der Bezirksvertretung die neuen Pläne zur Entscheidung vor, fast durchgängig mit den 1,75m breiten Schutzstreifen. Erneut kritisierte der ADFC die aus Sicht des Radverkehrs nach wie vor ungenügende und unsichere Flächenaufteilung sowie den fehlenden Mut für eine weitreichendere und zukunftsorientierte Umgestaltung.
Die Beschlussvorlage wurde vor der Sitzung am 28.3.2019 zurückgezogen, so dass es nicht zu einer öffentlichen Diskussion in der Bezirksvertretung kam. Im Mai gab es ein „interfraktionelles Fachgespräch“, also ein nicht-öffentliches Treffen zwischen Verwaltung und Vertreterinnen und Vertretern der Fraktionen, bei dem die Politik neue Vorgaben machte. Die Pläne wurden erneut geändert, und im Rahmen einer Informationsveranstaltung am 7.10.2019 im Altenberger Hof sowie auf der Website der Stadt Köln veröffentlicht.
Der neue Plan, Teil 2
In den Plänen aus dem Herbst 2019 konnten wir folgende Unterschiede zum Planungsstand Anfang 2019 erkennen:
- Die „New-York-Ampel“, die das Queren der Fahrbahn an der Ecke Kaufhof/Wilhelmstraße in alle Laufrichtungen ermöglicht, ist in den neuesten Plänen wieder enthalten
- Im Bereich der KVB-Rolltreppen an der Viersener Straße sind die Schutzstreifen auf 1,50m verengt. In den aktuellsten Plänen werden sie am Anfang und Ende dieser Engstelle aber auf 1,75m aufgeweitet
- Im Bereich Niehler Kirchweg fehlte auf ein paar Metern der Sicherheitsabstand von 0,50m zum Bordstein, dieser wurde nun ergänzt. Die Schutzstreifen bleiben in diesem kurzen Bereich aber auf 1,50m verengt
Hauptthema zwischen Bezirksvertretung und Verwaltung waren aber ganz offensichtlich die Parkplätze, denn hier gibt es die größten Änderungen: Im neuesten Plan zählen wir 17 Parkplätze mehr als im Plan vom Anfang des Jahres, dafür 106 Fahrradabstellplätze weniger. Erreicht wurden dies unter anderem durch „Blockparken“ vor dem Alnatura-Supermarkt, bei dem Kraftfahrzeuge in zwei Reihen auf dem Bordstein stehen dürfen und den Platz für Fußgänger spürbar einschränken. Ausgerechnet hier entfallen dann laut Plan auch die einzigen ursprünglich vorgesehenen Behindertenparkplätze – wobei nicht ausgeschlossen ist, dass diese Widmung in einer späteren Planungsphase wieder ergänzt wird.
Erneute Kritik der Bürgerinnen und Bürger
Deutliche Kritik wurde bei der gut besuchten Bürgerinformationsveranstaltung am 7.10.19 im Altenberger Hof geäußert. Stephanie Dietz vom Straßenbauamt erläuterte gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut nachvollziehbar und anschaulich die Notwendigkeit, auch in Nippes für ein sich veränderndes Mobilitätsverhalten zu planen. Viele Anwesenden gingen die Pläne aber nicht weit genug: Die Sicherheit für den Radverkehr sei nicht gewährleistet, weitreichendere Forderungen wie die nach einer Einbahnstraße seien nicht ausreichend beleuchtet worden, und überhaupt seien die Pläne „retro“, also rückwärtsgewandt und nicht zukunftsorientiert.
Es ist bemerkenswert, dass für die Nippeser Politik alleine Bezirksbürgermeister Bernd Schößler den Plan als „Kompromiss“ verteidigen musste: Mehr sei mit den gegenwärtigen Mehrheiten in der Bezirksvertretung nicht drin gewesen. Andere Beteiligte aus der Bezirksvertretung meldeten sich in der kurzen, aber intensiven Runde nicht zu Wort. Schößler mahnte mehrfach, dass eine grundlegende Diskussion über die Gestaltung der Neusser Straße jetzt nicht mehr erwünscht sei. Wenn über den vorliegenden Plan jetzt nicht entschieden werde, würde es auf absehbarer Zeit gar keine Umgestaltung geben. Warum Bezirksvertretung und Verwaltung die neuen und alten Forderungen nach einer umfassenden Neuregelung des Verkehrs aber nicht aufgegriffen haben, dazu gab es keine Antwort – nicht während der Diskussion, und auch nicht in der schriftlichen Stellungnahme der Verwaltung zu den Forderungen aus der Bürgerinformationsveranstaltung vor zwei Jahren. So bleibt der Eindruck, dass eine Verkehrswende in Nippes nicht gewollt ist.
Kampf um Parkplätze statt Verkehrspolitik
Andernorts in Köln fordern Anwohner und Geschäftsbetreiber einmütig, den Kraftfahrzeugverkehr deutlich zu verringern (Ringe) oder ganz zu verbannen (Eigelstein), und auch die von der Verwaltung lange als modellhaft angesehene Venloer Straße wird mittlerweile als Sanierungsfall angesehen: Der Versuch, Kraftfahrzeugverkehr im Zweirichtungsbetrieb, beidseitiges Parken, zahlreiche Abbiegemöglichkeiten, Radverkehr auf schmalen Schutzstreifen mit einer attraktiven Einkaufsstraßen-Atmosphäre unter einen Hut zu bringen, ist gescheitert. In der Severinstraße wurde eine deutliche Verkehrsberuhigung durch eine konsequente Umgestaltung erreicht. Auch für die Venloer Straße diskutiert die Ehrenfelder Politik jetzt konsequentere Lösungen, wie die Einrichtung einer Einbahnstraße und abschnittsweise Durchfahrtsbeschränkungen.
In Nippes ist die Politik noch nicht so weit. Obwohl die Umgestaltung der Neusser Straße nach grober Schätzung frühestens in acht Jahren abgeschlossen sein könnte, konnte sich die Bezirksvertretung nicht zu einer zukunftsorientierten Lösung durchringen. Dabei wäre für ein Umdenken angesichts der langwierigen Planungsprozesse mehr als ausreichend Zeit gewesen. Mit ihrem Kampf um jeden einzelnen Parkplatz zeigt die politische Mehrheit in der Bezirksvertretung, dass sie der Schimäre einer autogerechten Stadt hinterherjagt. Es ist grotesk, sich nicht auf eine Lösung des Verkehrsproblems in Nippes verständigen zu können, im Zweifel Raum für Fußgänger zu Gunsten von Parkplätzen einzuschränken und Radfahrer trotz der hohen Unfallzahlen nicht besser zu schützen – und dies dann als „Kompromiss“ zu bezeichnen. Dass die Bezirksvertretung solche Prioritätensetzungen nicht mehr in öffentlicher Sitzung verhandelt und auch nicht in Bürgerinformationsveranstaltungen dazu Rede und Antwort steht, ist schade.
Unsere Forderungen
Auch die neuen Pläne zur Umgestaltung werden den Anforderungen an eine sichere und attraktive Führung des Radverkehrs nicht gerecht. Dies entscheidet sich nicht daran, ob nun Schutzstreifen in einer Breite von 1,75m mit 0,50m Sicherheitsabstand oder 1,50m plus 0,75m markiert werden – die Gestaltung der Straße wird auch weiterhin zu gefährlichen Situationen und Unfällen führen durch Ein- und Ausparkvorgänge und durch eng überholende Kraftfahrzeuge. Der Plan ist weder dafür geeignet, den schon jetzt vorhandenen Radverkehr abzuwickeln, noch den zukünftig zu erwartenden. Keinesfalls wird er mehr Menschen dafür begeistern, auf das Fahrrad umzusteigen. Die Chance, die Neusser Straße zu einer attraktiven Einkaufsstraße zur Nahversorgung umzugestalten, wird vertan, weil es zu viele Parkplätze gibt und weil der Durchgangsverkehr nicht zurückgedrängt wird.
Was neben der langfristigen Umgestaltung nicht vergessen werden darf: Es sind schon heute Sofortmaßnahmen notwendig und auch möglich. Die Umwandlung von Parkplätzen in Fahrradabstellplätze und Ladezonen muss zügig angegangen werden, die Schutzstreifen und entsprechenden Sicherheitsabstände können schon morgen breiter angelegt und vor Zweite-Reihe-Parkern geschützt werden.
Wenn man aber die Neusser Straße lebenswerter machen möchte und die Notwendigkeit bejaht, den Radverkehr zu fördern und zu schützen, dann kann man nur zu einem Schluss kommen: Es ist kein Platz für beidseitiges Parken und eine zweispurige Führung des Kraftfahrzeugverkehrs. Wir bleiben bei unserer Forderung, eine einspurige Führung einzurichten, den Radverkehr beidseitig auf mindestens zwei Meter breiten Streifen zu führen und das Auto-Parken auf ein Minimum zu begrenzen.
Mit den vorliegenden Plänen bleibt die Neusser Straße auf viele Jahre hinaus eine hochbelastete Multifunktionsstraße, die keiner der vielen Anforderungen wirklich gerecht wird. Daran können auch notdürftige Korrekturen nichts ändern. Dennoch muss die Zahl der Autoparkplätze in den Plänen wieder reduziert werden und die Aufstellflächen für den Radverkehr immer über die gesamte Fahrbahnbreite markiert werden.
Wichtiger ist allerdings: Sollte sich die Bezirksvertretung tatsächlich für die Pläne entscheiden, müssen die konkreten Umsetzungspläne so gestaltet werden, dass beispielsweise eine Einbahnstraßen-Lösung in Zukunft ohne einen weiteren aufwändigen Umbau umgesetzt werden kann. Die auch in Nippes dringend benötigte Verkehrswende darf nicht durch eine kurzsichtige Entscheidung für Jahrzehnte unmöglich gemacht werden.